EMCAPP Journal 2

100 So kroch ich hinter einer Glastür unter einen Tisch. Ja, da war ich richtig. So fühlte sich mein Verlorensein an: das Leben ging an mir vorüber, die Menschen eilten hin und her, ich selbst saß zusammengekauert, tief traurig und scheu unter einem Tisch. Schon hörte ich die Hirtin, wie sie über den Flur und den Gang entlang ging, er- mutigend mit einem „verlorenen Schaf“ sprach und eines nach dem anderen zurück in den „Stall“ führte. Sie hatte mächtig viel Arbeit. „Dich findet sie si- cherlich nicht!“, schoss es mir durch den Kopf (und beim Austausch hinterher berichtete jeder Zweite von ähnlichen Befürchtungen!). Die Hirtin lief hierhin und dorthin, aber immer lief sie an mir vorbei. Sollte ich zaghaft „MÄH ma- chen, um es ihr zu erleichtern?? Nein, ich würde ausharren. Sie weiß ja, wie- viele Schafe sie hat. Und sie wird so lan- ge suchen, bis sie sie alle bei einander hat. Allmählich wurde es ruhig auf dem Gang, die Tür zum Workshop-Raum wurde geschlossen. „Siehste! Du bist nicht gefunden worden. Du bist nicht wichtig. Ob du da- bei bist oder nicht – das spielt keine Rolle. Wir können auch ohne dich..... Meine Gefühle fuhren schmerzvoll Karussell. Aber ich würde hier unten ausharren. Irgend- wann würde doch die Hirtin oder eines der Schafe mer- ken, dass ich fehle. Tatsächlich, da wurde die Tür geöffnet, die Hirtin hatte sich Verstärkung geholt und zu mehreren schwirrten sie aus, das nun wirklich verlorene Schaf zu suchen. Ziel- strebig, als hätte sie die ganze Zeit gewusst, wo ich bin, ging sie zu dem Tisch, unter dem ich hockte und freute sich, dass sie mich gefunden hatte. Sie führte mich in den Raum – und erleichterter Jubel brach los, die Teilneh- merInnen des Workshops klatschten und jubelten, als ich eintrat. Ich war zutiefst berührt. Denn es ist wirklich nicht so, dass 99 Schafe reichen. Wenn du weißt, du hast 100 Schafe, und es sind nur 99 da, dann fehlt etwas. Die Freude stellt sich erst dann ein, wenn das verlorene Schaf wieder da ist. Wohl kaum einer im Raum ahnte, welch tiefe Erfahrun- gen ich gerade machte. Ich konnte es kaum erwarten, dass der Workshop zu Ende ging und ich auf mein Zim- mer kam. Eilig griff ich zum Programm der Jahrestagung und schrieb mit der linken Hand darauf: „SCHREIB DOCH MIT LINKS, WENN DU WILLST! DU DARFST JETZT WIEDER MIT LINKS SCHREIBEN! NIEMAND ZWINGT DICH MEHR, MIT RECHTS ZU SCHREI- BEN. HALLELUJA! HALLELUJA!!!“ Das ganze Blatt kritzelte ich mit unbeholfener Schrift voll – aber es war meine Schrift, das Schreiben fühlte sich endlich „richtig an. Da fielen mir die Worte der Neuro- login wieder ein „Irgendetwas machen Sie falsch! Na- türlich! Sie hatte Recht! Mein ganzes Leben war ich auf flashed through my head (and during the sharing after- wards every second person reported similar fears). The shepherd ran back and forth, but always ran past me. Should I try a feeble “bah” to make it easier for her? No, I would hold out. She knows, of course, how many sheep she has. And she will continue searching until she has them all together, I thought to myself. Gradually, it became quiet in the cor- ridor, the door of the workshop room was closed. “You see! You have not been found. You are not important. Whether you are there or not – that doesn’t mat- ter. We can manage just as well without you...” My feelings turned in a painful merry-go-round. But I was going to hold out down there. At some point the shepherd or one of the sheep would su- rely notice that I was missing. Then indeed the door was opened, the shepherd had fet- ched reinforcements and they swarmed out in force to search for the now really lost sheep. Purposefully, as if she had known the whole time where I was, she went to the table under which I crouched and rejoiced that she had found me. She led me into the room – and relieved jubilation broke out, the workshop participants clapped and cheered as I entered. I was very deeply moved. For it really is not enough to have the 99 sheep. If you know you have 100 sheep, and there are only 99 there, then so- mething is missing. Joy returns only when the lost sheep is there again. Probably hardly anyone in the room guessed what deep experiences I had just been through. I could hardly wait for the workshop to end and to get back to my room. Hurriedly, I grabbed the programme for the conference and wrote with my left hand: “SIMPLY WRITE WITH THE LEFT HAND IF YOU WANT! YOU ARE FREE TO WRITE WITH THE LEFT HAND AGAIN! NO-ONE IS FORCING YOU TO WRITE RIGHT-HANDED ANY MORE. HALLELUJA! HALLELUJA!!!” I filled up the entire page with clumsy scribbling – but it was my writing, the writing finally felt “right”. There the words of the neurologist came into my mind again: “You are doing something wrong!” Of course! She was right! During my whole life I had been trained to be right-han- ded, although my Creator and my brain were giving me other impulses. I had the key, a long-locked door sprang open! An indescribable feeling flowed through me. The first step to a change in my life had just been taken, one I had often begged for deep within me. But I did not have the faintest idea what that step could be and when it would be shown to me. Something within me had always hoped for change – even when I believed I had to come to terms with life and accept my “being lost”. It was incredible! Foto: Anna Sara Jagiolla © Christian Psychology alive

EMCAPP Journal 2

Pages