86 Phase IV/V: Freigeben, Schuld erlassen In Konsequenz wird ein Erleben der zwei letzten Phasen auf beiden Ebenen möglich. Ich erlebe, dass Gott mir nichts nachträgt, er mir wirklich meine Schuld vergibt und mich zeitlich von den meisten und ewig von allen gerechten Konsequenzen meines Handelns befreit. Und so wird es auch möglich, dass ich meine Ansprüche an den anderen, mein „Das kann man doch nicht so ste- hen lassen!“, meine Ansprüche an Wiedergutmachung, Reue und Wohlverhalten loslasse. Wir binden andere Menschen mit Vorstellungen, wie sie zu sein haben, mit Ansprüchen, wie sie zu reagieren haben, und auf diese kann ich nun verzichten. (Statt Ansprüchen, auf die ich verzichte, können aber Wünsche an den anderen bleiben oder sogar erst aktuell werden, die nicht fesseln wollen, sondern Eigenverantwortung hausfordern.) Ich habe dem anderen seine Schuld vergeben und kann ihn getrennt von dieser (neu) sehen. Das Vergebungsmodell, ein typisches, personales Prozess- modell Mit dem Vergebungsmodell haben wir ein Beispiel für ein typisches, personales Prozessmodell kennen gelernt. Zum einen wird es dem Entwicklungsmotor in persona- len Prozessen, in Heilungs- und Wachstumsprozessen gerecht, geht e nicht starr, gar als „Ablaufgesetz“ (miss-)verstehen. Je- der einzelne darf sich in jedem seiner Vergebungspro- zesse ganz individuell durch die Möglichkeiten dieser „Wegschneise“ hangeln und kann (wie im Modell mit- tels der dünneren Pfeile angedeutet) den ganzen Prozess oder einzelne Teile mehrfach durchlaufen. Vergebung kann auch (zu unserer Schonung) schichtweise erfol- gen (Marke „Zwiebelschalenmodell“), und es kann, etwa in Abhängigkeit von bereits gemachten Erfahrungen in früheren Vergebungsprozessen, zu einer individuell ganz unterschiedlichen Geschwindigkeit kommen (von wenigen Sekunden bis vielen Jahren). So ist das Modell des Vergebungsprozesses ein Abbild realer Beziehungs- dynamik mit all seinen „Loopings“, Schleifen, seinem „Vor“ und „Zurück“... Im Gegensatz zu typisch säkular- psychologischen Vergebungsmodellen (Enright, 2002) impliziert der Vergebungsweg nicht nur persönliche Hei- lungs-, Heiligungs- und Wachstumsdynamiken, sondern auch „automatisch“ Wachstum, Vertiefung in der Bezie- hung zu Gott dem Erlöser. Das schließt ein ein tiefes ver- trauensvolles Erfassen seiner Erlösung (Vergebung), sei- nes tiefen Ernstnehmens meiner Sünde (Abrechnung mit mir) und seines tiefen erlösenden (Phase 4) Erbarmens (Phase 3) der Sünde und mir gegenüber als Vorausset- zung für echtes ganzheitliches Vergeben. Christian Psychotherapy One also sees that this is not a rigid model, but a very dynamic illustrative picture in which such process para- meters with “luminous markings” character are descri- bed and on which the individual process is oriented. For one should not (mis)understand the five phases as fixed, let alone as a “law of the process”. Each person can move step-by-step, in a quite individual way, through the pos- sibilities contained in this “cut path” or traverse repeated- ly certain parts. Forgiveness can also take place in layers (for our protection – brand-name “onion layer model”) and can progress, e.g. depending on experiences during earlier forgiveness processes, at individually quite diffe- rent speeds (from a few seconds to many years). This model of the forgiveness process is an image of real relationship dynamics with all their loops and curves, their “forwards” and “backwards”... As opposed to typi- cal forgiveness models in secular psychology (Enright, 2002), this path of forgiveness implies not only the per- sonal dynamics of healing and growth, but also “automa- tic” growth in, and deepening of, the relationship with God the Redeemer. This includes a deeply trusting grasp of His salvation (forgiveness), of His taking my sin tho- roughly seriously (drawing up accounts with me) and of His deeply liberating (Phase 4) mercy (Phase 3) towards sin and myself as a precondition for genuine holistic for- giveness. Selected bibliography / Ausgewählte Literatur: Enright, R. D. and Fitzgibbons, R. P. (2002): Helping Clients Forgive. An Empirical Guide for Resolving Anger and Resto- ring Hope, American Psychological Association McCullough, Pargament and Thoresen (2000): Forgiveness. Guilford Grossmann, Karin and Klaus E. (2004): Bindungen – das Gefü- ge psychischer Sicherheit. Stuttgart: Klett-Cotta Shults, F. Leron & Sandage, Steven J. (2003): The Faces of Forgi- veness, Baker Academic, Tausch, Reinhard (1993): Verzeihen die doppelte Wohltat, in Psychologie heute, April, 1993 Weingardt, B. M.: Wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Der Prozess des Vergebens in Theorie und Empirie, Kohlham- mer, 2000 Website of the Forgiveness Institute in Madison http://www. forgiveness-institute.org Website of Marina Catacucino’s Forgiveness Project (UK) http://www.theforgivenessproject.com/